Kategorie: Forschung und Lehre

Denken, Fühlen und Wollen

Ein Beitrag von Wolf-Ulrich Klünker zur Wissenschaftlichkeit von Anthroposophie und anthroposophischer Menschenkunde: Denken, Fühlen, Wollen. Er wird veröffentlicht in dem Forschungsprojekt ARS-Studien.
„Anthroposophie und anthroposophische Menschenkunde, als Wissenschaft verstanden, beruhen auf einer wissenschaftlich sonst ungewohnten Voraussetzung. Sie teilen diese Voraussetzung mit therapeutischen Wissenschaften und vielleicht auch mit einer nichtobjektivistischen Psychologie: Ich selbst bin vom wissenschaftlichen Prozess angesprochen; ein nur distanzierter wissenschaftlicher Blick reicht nicht aus; Subjekt und Objekt der Untersuchung sind nicht zu trennen; ich selbst werde mir zum Erkenntnisobjekt. Letztlich gilt vielleicht sogar, dass keine Erkenntnisentwicklung ohne Selbstentwicklung möglich ist und dass umgekehrt erst aus dem Erkenntnisfortschritt eine geistige Selbstaktivierung möglich wird.“

Thomas Steininger mit Prof. Wolf-Ulrich Klünker im Gespräch

Wenn wir heute von einem Dialog zwischen Spiritualität und Wissenschaft sprechen, meinen wir meist einen Dialog mit dem vorherrschenden naturwissenschaftlichen Denken. Vielleicht braucht es für diesen aber auch ein anderes Verständnis darüber, was Wissenschaft außer Naturwissenschaft noch sein kann. Kein unkritisches Wunschdenken wie es im New Age oft gepflegt wird und auch kein dogmatisch metaphysisches Denken wie wir es oft in den traditionellen Religionen
vorfinden. Gibt es ein anderes, geisteswissenschaftliches Verständnis einer modernen Wissenschaft?
Prof. Wolf-Ulrich Klünker, Professor für Philosophie und Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie an der Alanus Hochschule bei Bonn, denkt ja, das gibt es.

Wissenschaft des Gefühls

Jede Wissenschaft vom Menschen sieht sich mit einem zweifachen Anspruch konfrontiert:
einerseits muss sie den Erkenntnisgrundlagen wissenschaftlichen Denkens entsprechen,
andererseits sollte sie in der Lage sein, nicht nur auf Erkenntnisfragen, sondern auch auf
existenziell tiefer gelagerte Lebensfragen zu antworten. Wissenschaftlichkeit dürfte also die
existenzielle Dimension nicht ausschließen; persönliche Betroffenheit andererseits nicht
jenseits wissenschaftlicher Selbstverantwortung liegen. So verbinden sich in den
Wissenschaften vom Menschen, also zum Beispiel in der Psychologie und der Medizin (hier
insbesondere, weil in ihnen stets auch therapeutische Bedürfnisse angesprochen sind)
Erkenntnis und Leben, Wissenschaft und Selbstgefühl, und, sofern es sich um
geisteswissenschaftliche Grundlagen handelt, Spiritualität und Existenzialität.

Eine Anthroposophie des 21. Jahrhunderts

Wolf-Ulrich Klünker lehrt und forscht ab sofort (2015) als Professor für Philosophie und Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie an der Alanus Hochschule (Foto: Alanus Hochschule)

Im Gespräch mit Wolf-Ulrich Klünker anlässlich seiner Ernennung zum Professor an der Alanus
Hochschule für Kunst und Gesellschaft über Wissenschaft als Lebenshaltung, Fragen an eine
zeitgemäße Anthroposophie und den Zukunftsblick des Alanus ab Insulis. (Veröffentlichung der Alanus Hochschule Januar 2015)

Anthroposophie als Wissenschaft

Überarbeitete Fassung des Berufungsvortrags an der Alanus-Hochschule, Alfter
Wolf-Ulrich Klünker

Rudolf Steiner hat die Anthroposophie von Anfang an wissenschaftlich konzipiert: als „Geisteswissenschaft“. Der Begriff „Geisteswissenschaft“ bezieht sich dabei nicht wie sonst im Sprachgebrauch üblich auf eine Unterscheidung von den Naturwissenschaften, sondern auf die Grundlagen der hier gemeinten Wissenschaft. Einerseits ist sie als Wissenschaft, also als Erkenntnis des denkenden und schaffenden Geistes und seiner Produkte in der Welt gemeint (und umfasst insofern auch die Gegenstände der Naturwissenschaften); andererseits bezieht sie auch die Eigenentwicklung des erkennenden Geistes (gleichsam als Selbsterkenntnis der Wissenschaft) mit ein.