11. Juni 2023

Das Planetenbild


eine Bildbetrachtung von Charline Fleischhauer zu einem Bild von Ramona Rehn

Das Planetenbild

Bei der Betrachtung des Bildes werden unterschiedliche Strukturen erkannt, die ihrer Beschaffenheit nach einander zugeordnet werden. So ergeben sich vier Kugeln, die in einen Zusammenhang gebracht werden und die sie umfassende Umgebung, welche aufgrund ihrer Formlosigkeit als Einheit erlebt wird. Aus dieser Einteilung des Bildes in verschiedene Bereiche gehen zwei Welten hervor: die Welt der Form, der die Kugeln angehören und die Welt der Bewegung, die sich aus der dynamischen Umgebung ergibt.

Die Aufmerksamkeit wird zunächst auf die Kugeln gerichtet, so als könne der Betrachter in ihnen sein Bedürfnis, etwas Konkretes erfassen zu müssen, stillen. Wenn daraufhin der Blick auf die Welt der Bewegung fällt, ist das Erleben ein gänzlich anderes. Es ist viel offener und fließender, wodurch ein leises Gefühl von Neugierde erweckt werden könnte. Doch auch in diesem Erleben scheint das laute Bedürfnis, das Geschaute zuordnen zu wollen, nicht zu ruhen, weshalb die formlose Fläche begierig nach etwas Erfassbarem abgesucht wird. Da sich daraufhin nichts unmittelbar zeigt, das benannt werden könnte, kommt bei wachsamer Beobachtung des eigenen Erlebens ein Gefühl von Unsicherheit, vielleicht sogar eine subtile Furcht auf. Daraufhin wirkt es so, als zögen die Kugeln die Aufmerksamkeit an sich zurück, weil diese ein Gefühl von Sicherheit und Halt erzeugen. Aus dem sicheren Erleben, das der Betrachter an den Kugeln hat, kann ein Zweifel daran entstehen, ob überhaupt etwas konkret Ersichtliches in der bewegten Umgebung zum Vorschein kommen könnte. Bei genauerer Betrachtung des Zweifels liegt dieser der Annahme zugrunde, dass der formlose Teil des Bildes dem Zufallsprinzip unterliegt, wodurch dieser sich jeglicher Kenntnis entziehen würde. Mit diesem Gedanken tritt der Betrachter an eine Grenzsituation; denn der Umgang mit diesem Gedanken wird sich für die weitere Beschäftigung mit dem Bild als entscheidend erweisen. Entweder erlebt er den Bildinhalt aus dem zumeist unbewussten Zweifel heraus als erkannt, was jede weitere Beschäftigung sinnlos erscheinen lassen müsste und eine Abwendung des Blickes nach sich ziehen würde. Oder der Mensch überwindet seinen Zweifel, der auch dann zumeist trotzdem im Unbewussten bleibt. Die Überwindung des Zweifels zeigt sich dann in seinem Willen, sich erneut auf das Ungreifbare einzulassen. Umso stärker und unkonkreter der Wille, umso mehr kann sich ihm das Geschaute selbst offenbaren. In anderen Worten: Wenn der Mensch ein wirkliches Interesse an dem Bild hat, wird er sein Bedürfnis, etwas in den bewegten Strukturen erkennen zu müssen, überwinden und sich somit mehr auf die Welt der Bewegung einlassen können. Denn andernfalls könnte der Betrachter nur etwas ihm bereits Bekanntes erkennen, nicht jedoch in ein Erleben eintreten, das auch vom Bild ausgeht. Es kann eine Sensibilität für diese Art der Kraft, die im Menschen wirkt, ausgebildet werden, die vehement versucht, aus Formlosigkeit Form und aus Unbekanntem Bekanntes hervorgehen zu lassen: das heißt die Welt der Bewegung, die der Form anzugleichen. Ein Interesse an dem Bild würde dieser Kraft entgegenwirken. Denn dieses bleibt – wenn es ein wirkliches Interesse ist – nicht bei den Eigenheiten des Betrachters stehen, sondern tastet sich fragend an das Geschaute heran. Das bedeutet, dass die hier angesprochene Bild- und somit Weltbegegnung eine Eigentätigkeit des Menschen voraussetzt. Es wird nicht davon ausgegangen, dass dieser von vorneherein fähig ist, das Bild in seiner Gesamtheit zu erkennen, sondern dass sich ihm bestimmte Wirklichkeitsbereiche erst dann eröffnen, wenn er sich diesen von sich aus annähert und sich somit in sie hinein entwickelt. Wenn der Betrachter bei der Benennung der Kugeln stehen bleibt und den Rest des Bildes als ihm unzugänglich erlebt, so wird es ihm tatsächlich unzugänglich sein. Wenn er sich hingegen nur als zunächst unwissend erlebt, das heißt die eigene Entwicklungsfähigkeit mitdenken kann, so wird eine innere Offenheit entstehen, die ihm nicht von vorneherein gegeben ist, sondern sich erst allmählich durch seine Selbstaktivierung entwickelt. Eine solche offene Haltung ermöglicht dem Betrachter, in ein Erleben hineinzukommen, durch welches der Eindruck entstehen kann, dass ihm etwas vom Bild entgegenkommt. Eine Stelle, an der dieses Erleben besonders ausgeprägt ist, befindet sich unterhalb der gelben Kugel. Was will da entstehen? Um dieser Frage näher kommen zu können, macht es den Anschein, als bräuchte es ein ausgewogenes Maß an Wille, welcher ausströmt und einem Sich-Einlassen, durch das das Bild einströmen kann. Der Wille ermöglicht es dem Menschen an der Frage dranbleiben zu können und durch das Einlassen kann sich die Frage zum Bild hin entwickeln. Es könnte auch gesagt werden, dass zunächst der Mensch die Frage führt und dann die Frage den Menschen. In dem dadurch entstehenden Berührungspunkt von Mensch und Bild kann sich die oben genannte Stelle erhellen. Dann zeigt sich leise – zunächst kaum erkennbar – eine menschliche Gestalt. Diese steht aufrecht mit geneigtem Kopf und erhobenen Armen inmitten der Welt der Bewegung. Es sind kaum innen-außen Verhältnisse erkennbar. Die Bewegung erschafft die Gestalt sowie diese die Bewegungen gestaltet. Durch die Entstehung der Gestalt aus der Bewegung heraus entsteht eine Empfindung für einen Zusammenhang von Bewegung und Form. Diese wird zunächst innerhalb der Welt der Bewegung empfunden, könnte sich aber daraufhin auf das gesamte Bild ausweiten, weil sich die zuvor als gegenüberstehend erlebten Welten in dieser Empfindung näher kommen. Durch diese entwickelte Empfindung erlebt der Mensch die Kugeln – das heißt die Welt der Form – gänzlich anders. Diese wirken daraufhin weniger „fertig“ als zuvor. Zuvor erlebte er die Welt der Form als erkannt, jetzt begegnet er auch ihr mit einer offenen Haltung. Daraus kann sich eine Unstimmigkeit ergeben, die der Welt der Form angehörigen Gebilde weiterhin als Kugeln zu begreifen. Vielmehr scheint sich der Begriff „Planet“ zu ergeben, der sich viel stimmiger anfühlt. Aus der neuen Empfindung heraus entwickelt der Mensch Fragen, die er zuvor aufgrund seiner vorurteilenden Wahrnehmung nicht fähig gewesen wäre, in sich heraufzuholen. Eine solche könnte beispielsweise sein: Was haben die Planeten mit der entstandenen Menschengestalt zutun? Wenn sich der Betrachter in gleicher maßhaltender Weise an diese Frage herantastet, wie er es zuvor erlernen durfte, kann ein Gefühl für die Planeten entstehen, das an ihnen verschiedene Qualitäten erlebt. In diesem Erleben kann bemerkt werden, dass die Qualitäten, die sich an den Planeten ergeben, sich in der menschlichen Gestalt wiederfinden. Es ist, als entstehe der Mensch durch die Planeten, wobei auch hier die wechselseitige Kraft erlebbar werden kann; denn auch der Mensch scheint die Planeten durch die Bewegtheit seines Wesens erst in ihrem Sosein hervorzubringen. Durch den fortlaufenden Versuch, die Gestalt in ihrem Zusammenhang mit den Planeten zu denken, kann sich eine weitere Empfindung im Betrachter ausbilden. Es kann ein Gefühl der Zugehörigkeit zu der menschlichen Gestalt im Bild entstehen. In dieser Empfindung kann erlebt werden, dass genauso wie der Mensch im Bild ebenfalls der betrachtende Mensch aus der Beschäftigung mit dem Bild hervorgeht. Denn in dem Moment, in dem sich die Gestalt im Bild durch die Selbstaktivierung des Betrachters realisiert, kann sich dasselbe Prinzip in ihm selbst erhellen. Denn in seiner gegenwärtigen Situation verbindet er nicht nur im Bild die beiden Welten mit- einander, sondern gleichsam in sich selbst. Denn in seiner Situation entspricht das Bild als solches den Kugeln des Bildinhaltes – d.h. der „Welt der Form“ – und seine eigene Innerlichkeit, d.h. sein Denken, Fühlen und Wollen der im Bild dargestellten und erlebten „Welt der Bewegung“.

Es kann also gesagt werden, dass sich die Empfindung, die sich aus der ernsthaften Beschäftigung mit dem Bild entwickelt, auf die eigene Lebenssituation des Betrachters ausweiten kann. Wenn der Zusammenhang zwischen dem Bild als materieller Form und der seelisch-geistigen Auseinandersetzung des Betrachters bemerkt wird, stellt sich die Frage, was der Entstehung des Menschen entspricht. Denn dieser ist in der Lebenssituation ebenso wenig wie im Bild von vorneherein vollkommen anwesend. So wie die menschliche Gestalt erst durch die seelisch-geistige Beschäftigung mit dem Bild durch den Betrachter entsteht, entsteht das wirklich Menschliche innerhalb der Lebenssituation erst durch das schaffende Ich. Dieses gehört weder der einen noch der anderen Welt vollkommen an, sondern entsteht erst in dem Berührungspunkt beider Welten. Dieser Wirklichkeitsbereich des Ich ist – im Gegensatz zu den anderen beiden Welten – nicht von vornherein anzutreffen, sondern realisiert sich erst in der Verbindung zwischen Bewegung und Form. Diese Verbindung kann dann entstehen, wenn das Denken, Fühlen und Wollen im Menschen aktiviert wird, d.h. sich in gewisser Weise von der Begrenztheit der materiellen Welt loslöst. Das passiert, wenn sich die Innerlichkeit des Menschen nicht mehr nur aus dem ergibt, was er an der Form erlebt, sondern sich denkend, fühlend und wollend in eigene Tätigkeit versetzt. Das heißt, wenn der erlebende Mensch nicht bei dem stehen bleibt, was er schon sieht, sondern eigene Fragen aus dem Interesse für die Sache entwickelt. Diese Fragen sind im Unterschied zur Form nicht begrenzt, sondern in seinem Bewusstsein frei. Damit sich diese Fragen jedoch nicht in illusionärer Weise von der Realität der Form weg entwickeln, muss sich die innere Bewegtheit des Menschen permanent durch die materielle Welt korrigieren und neu nach ihr ausrichten, ohne dabei ihre Freiheit aufzugeben. Der sich dadurch ergebene „Tastprozess“ wird durch das Ichhafte im Menschen geführt: ebenso wie der Betrachter des Bildes die beiden zunächst getrennten Welten miteinander verbindet, führt auch das Ich das Denken, Fühlen und Wollen im Innern des Menschen in rechtmäßiger Weise zur Verbindung mit der Welt. Doch es kann auch bemerkt werden, dass erst dieser entwickelte Berührungspunkt von Mensch und Welt zu der Selbstidentifikation des Ich führt. Denn hat sich die Fähigkeit des Betrachters – sich der menschlichen Form innerhalb der Bewegung bewusst zu werden – nicht erst an dem Umgang beider Welten entwickelt? Wie hätte er sich zu einem bewussten Erleben der bewegten Welt hin entwickeln sollen, wenn ihm diese nicht zuerst als fremd erschienen wäre? Und wie hätte er diese Fremdheit erleben können, ohne sich zunächst der Welt der Form zugehörig zu fühlen? An diesen Fragen kann sich eine Empfindung für die Notwendigkeit des Menschen als geistiges Wesen auf der Erde ergeben. Denn die Entwicklung und Identifikation der Ich-Kraft scheint erst durch die geistig-seelische Auseinandersetzung mit der gewordenen Welt hervorzugehen.

Dieser Prozess der Ich-Entwicklung kann aus jeder ernsthaften Beschäftigung mit einer Sache entstehen, wobei die Stärke und Besonderheit dieses Bildes darin zu liegen scheint, dem Menschen als Impuls und Führung auf diesem Weg zu dienen.