17. September 2022

Sonnenwirkung


Licht in der Ich-Entwicklung

Wolf-Ulrich Klünker

Am Ende war der menschgewordene Sonnengeist ganz schwach: er konnte vor Gericht nicht mehr antworten, sein Kreuz nicht selbst tragen. Er starb in Gemeinschaft mit Verbrechern, und die Elementarwelt verdunkelte sich. Das war das große Opfer, in dem sich umfassende kosmisch-göttliche Macht und maximal denkbare menschliche Schwäche vereinigt haben. Doch diese Kraftlosigkeit, dieses Unvermögen, diese Aussichtslosigkeit war der Beginn der Entwicklung zur eigentlichen Kraft der Individualität, des menschlichen Ich.

Anthroposophie und Licht

Wie wirkt eigentlich Anthroposophie auf das Ich? Das Ich lebt in der Elementarwelt, und zwar unmittelbar in den Elementen Erde, Wasser, Luft und Wärme; diese Unmittelbarkeit hat Rudolf Steiner im Heilpädagogischen Kurs (1924) mit Nachdruck dargestellt. Keine Vermittlung liegt dazwischen. Im Folgenden soll darauf hingewiesen werden, dass heute, 85 Jahre später, durch Anthroposophie eine neue Beziehung zum Licht für das Ich entstehen kann. Da es sich um eine Ich-Beziehung handelt, ist die Lichtwirkung biographisch differenzierbar.

Anthroposophie heißt geistige Arbeit mit Begriffen; das Ich als geistige Individualität urständet in der Intellektualität – natürlich nicht im abstrakten Denken, sondern im Denken als wirkende Kraft. Letztere kann aber heute nur über den (zunächst noch abstrakten) Begriff erreicht und freigelegt werden. Auch die anthroposophischen Begriffe Rudolf Steiners sind in diesem Sinne zunächst Abstraktionen. So stellt sich die Frage, wie das Denken im Ich im Hinblick auf geistige Wirklichkeit wieder kraftschlüssig wird. Die folgende Darstellung möchte eine anfängliche Empfindung dafür hervorrufen, dass sich durch eine solche Begriffsarbeit das Verhältnis des Lichtes zum Ich verändert: als eine untergründige, oft nicht gleich bemerkbare und von den geisteswissenschaftlichen Inhalten relativ unabhängige Wirkung.

Nur wenn die Sonne als Sonne verschwindet, d.h. in der Beleuchtung dunkler Körper, erscheint das Licht. Das eigentlich nicht Wahrnehmbare, das Licht, wird dadurch ebenso wahrnehmbar wie das andere nicht Wahrnehmbare, der dunkle Körper. So erscheint das Licht, und der auf der Erde denkende Mensch kann mit dem Johannes-Prolog verstehen lernen: Das Licht scheint in der Finsternis. Ebenfalls johanneisch ist die Aussage des großen Ich: Ich bin das Licht der Welt. Dieses Ich, der Logos, ist im Sinne des Prologs das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet – sofern er es erkennen will.

Anthroposophie bereitet diese neue Lichtbeziehung vor. Die Beschäftigung mit ihren Begriffen kann nach Jahren und Jahrzehnten untergründig die eigene Beziehung zum Licht verändern und durchsichtiger machen – auch wenn man sich inhaltlich nicht mit dem Licht beschäftigt hat. Dann kann sich für die Empfindung die Beziehung zum Licht gleichsam in ein neues Licht stellen.

Sonnenwirkungen in der eigenen Biografie

Es ist aufschlussreich, in einer gewissen meditativ-seelischen Grundhaltung die eigene biografische Beziehung zur Sonne zu eruieren. Sie wirkt im Erleben nämlich in unterschiedlicher Weise in der Kindheit, in der Jugend, im früheren und späteren Erwachsenenalter.

Man kann ein gewisses Kindheitsgefühl mit dem Erleben der Sonne, mit dem Empfinden und Wahrnehmen von Licht und Dunkelheit verbinden. Dieses Grundgefühl umfasst auch problematische Stimmungen der eigenen kindlichen Existenz; so gibt es auch eine Empfindung, die sich anfühlt wie eine partielle Abwesenheit von Sonne. Demgegenüber stehen Erlebnis- und Milieuwirkungen, die eher ein intensives Aufgenommensein, eine Verbindung mit Wärme und Licht spüren lassen. All diese Erlebnisaspekte können als ein „Sonnengefühl“ der Kindheit gelten.

Im Jugendalter wandelt sich die elementar-ätherisch-seelische Beziehung zur Sonne tendenziell in ein innerseelisches Eigenverhältnis. Im Zentrum des Erlebens steht nicht mehr die ätherische Verbindung mit dem elementaren Außengeschehen, sondern eher ein seelischer Lichtbezug. Er hat nicht mehr den Zauber jenes flimmernden und vibrierenden „Drinnenseins“ in der Natur und im Licht, das in der Kindheit Innen- und Außenerleben innig verbindet. Dennoch kann die biografische Rückbesinnung ziemlich eindeutig eine Sonnenbeziehung dieses seelischen Innenseins ausmachen, d.h. im eigenen Erleben identifizieren. Das ist möglich, wenn aus der Erwachsenenperspektive das Stimmungserleben der Jugend in einer neuen, weiterentwickelten Gefühlsschicht empfunden werden kann. Damit tritt ein Lebensgrundgefühl der Jugend in ein Gefühlsbewusstsein des Erwachsenenalters ein; ähnliches gilt auch für das zuvor beschriebene Licht- und Sonnenempfinden der Kindheit.

In der Jugend zeigt sich auch eine Beziehung zur Sonne, die man bis ins Erwachsenenalter hinein verfolgen kann: ein gewisses Eigenerleben im „äußeren“ Sonnenlicht. Bestimmte innere und zwischenmenschliche Erlebnisse sind dann anders als sonst – und diese Modifikation setzt das Zusammenspiel von Wärme und Licht in der Sonne voraus. Letzteres kann zwar seelisch substituiert werden, beispielsweise wenn bei äußerem Sonnenlicht im Winter die Wärme fehlt und seelisch gleichsam „ersetzt“ wird; aber Licht und Wärme gehören auf jeden Fall zusammen.

Aussagefähig ist auch, wie sich das Sommergefühl von der Kindheit über die Jugend bis ins Erwachsenenalter verändert. Vielen Menschen ist die Stimmung bekannt, jeweils den Sommer zu versäumen bzw. versäumt zu haben: durch zuviel Arbeit, Ablenkung, andere Okkupationen, jedenfalls durch zu viel Drinnensein. Verkürzt wäre es, darin nur eine innerseelische Reaktion auf eine „äußere“ Wirklichkeit zu sehen. Denn der hier gemeinte Gesamtzusammenhang umfasst auch das Erleben des Ich; nur mit diesem ergibt sich jene Wirklichkeit, die als „Sommer“ oder „Sonnenwirkung“ bezeichnet werden kann. Man wird in einer solchen Einstellung auch bemerken können, dass bestimmte Erlebnisse, Entscheidungen, Begegnungen nur in einem solchen Sommermilieu geschehen sind und geschehen können. Vielleicht lässt sich sogar ausmachen, dass die Zuspitzung und lebensbezogene Wendung von Krisen sich eher in einem solchen Sonnen- und Lichtwirken und –geschehen vollziehen kann.

Ähnliches gilt selbstverständlich auch für den „Mond“ und entsprechende Dunkelheits-, Farblosigkeits-, Silberwirkungen. Die Differenzierung von „Sonne“ und „Mond“ im ätherisch-elementaren, täglichen und jahreszeitbezogenen Erleben, in der Verbindung von äußerer „Wirklichkeit“ und Innensein kann heute zu wichtigen biografischen Eindrücken führen. Dass dies erst in der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit so umfassend möglich geworden ist, hängt mit der Herausdifferenzierung der Individualität aus dem kosmischen, jahreszeitlichen und witterungsbedingten Geschehen zusammen – erst dadurch wurde eine gewisse verobjektivierende, damit auch bezeugende und selbstwahrnehmungsrelevante Beobachtung möglich, ohne dass das entsprechende Erleben verabstrahiert werden muss. Entscheidend ist allerdings dabei, ob hier mit einem Erleben das Erleben erlebt wird oder nur durch eine abstrakte Reflektion bzw. Erinnerung.

Das spätere Erwachsenenalter macht es dann auch möglich, solche Erlebnisformen allmählich zu einem bestimmten Sensorium auszubauen. So kann man beispielsweise spüren bzw. bemerken, wenn bestimmte geistige Tätigkeiten oder geistig-kulturelle Einrichtungen eigentlich als Sonnenwirklichkeit („Sonnentempel“) betrieben werden sollen, in Wahrheit aber eher Mondencharakteristik besitzen. Mit einem solchen Eindruck, einer solchen Wahrnehmung ist noch keine Bewertung verbunden; auch der Silberglanz von Mondenkraft kann hilfreich und förderlich sein. Zudem muss der erste diesbezügliche Erlebnisbereich in der Eigenwahrnehmung liegen: in dem Empfinden, wie die eigenen seelisch-geistigen Situationen und Aktivitäten zwischen Licht und Dunkelheit, Gold und Silber, Sonne und Mond changieren und sich zuweilen gegenseitig verwechseln.

Wie stark sich Sonnenwirkungen und Lichtbedürfnisse bewusst und unbewusst auch zivilisatorisch bemerkbar machen können, zeigt sich etwa in der Glasarchitektur der vergangenen Jahrzehnte. Historisch weist beispielsweise das Farbenentstehen im durchscheinenden Licht bei Kirchenfenstern und älteren Bleiverglasungen auf eine zu erlebende Sonnenwirklichkeit. Im Durchscheinen von farbigem Licht kann eine spirituelle Stimmung mit zu erlebender Anwesenheit verstorbener Menschen entstehen. Vermutlich kann jeder bei entsprechender intentionaler Selbstsensibilisierung vergleichbare Stimmungen und Wirkungen bei sich selbst überprüfen und herbeiführen. Sie leiten in eine bestimmte biografisch-karmische Dimension, in der sich Bewusstseins- und Lebensebene, Erkenntnisgefühl und Existenz verbinden. Man nähert sich damit dem Lebensgeist des Sonnenbereichs an. Darin kann auch der Eindruck entstehen, dass die Verstorbenen „der Sonne entgegen“ leben.

In einem solchen Bereich liegt ein gewisses Mittelfeld zwischen der eigenen Erlebens- und damit Bewusstseinsdimension und der individuellen ätherisch-elementar-leiblichen Konstitution, also dem Ausgangspunkt des Selbstgefühls. Die Dimension des Sonnen-Lebensbereiches, die beide Seiten umfasst, verbindet in gewisser Hinsicht leibliche und geistige Individualität. Es wird deutlich, dass unter den Ich-Bedingungen der Erde jede geistige Entwicklung eine leibliche umfasst, jede leibliche Wirklichkeit des Menschen im geistigen Licht des Ich zu sehen ist. Seelische Empfindung und Selbstgefühl liegen in dem Spannungsbogen oder auch der Harmonisierung zwischen beiden. Im seelischen Selbstgefühl treffen sich das „Höchste“ und das „Tiefste“ der eigenen Existenz, hier liegt ein Ausgangsort umfassender, d.h. nicht nur einseitig bewusst vollzogener persönlicher Weiterentwicklung. Hier begegnet der innere Sonnentempel, den sich jeder selber bauen muss.

 

Folgen für die ätherische Wirklichkeit

Mit einem solchen neuen Bewusstsein für die Sonnenwirkungen beginnt ein gewisses Aufwachen des Ich in der ätherischen Wirklichkeit. Die Ätherelemente werden in Licht und Wärme bewusst erlebbar und dadurch in einem höheren Maß als zuvor seelisch. Damit wird ein Bereich (auch leiblicher) Natur eine Stufe emporgehoben, indem er nach und nach bewusstseinsfähig wird. Dabei ist, gerade im Hinblick auf seelisch-leibliche Gesundungsprozesse, davon auszugehen, dass das entsprechende Erleben des Menschen nicht nur Abbildcharakter besitzt. Hier tritt nicht nur in das Bewusstsein ein, was „objektiv“ sich in der Natur oder im Leib vollzieht. Sondern diejenige seelische Kraft, die in dem bewussten Erleben des Zusammenhangs wirkt, ist für den ätherisch-elementaren Bereich selbst von Bedeutung – indem sie der darin wirkenden Kraft entspricht oder diese modifiziert. Jenseits der Schwelle zur ätherischen Welt sind Bewusstsein und Sein, Bild und Kraft, Erleben und Leben nicht zu trennen. Das Erleben verändert das Leben, wie auch das Leben das Erleben beeinflusst. Bewusstsein gibt nicht nur gegebenes Sein wieder, sondern für dieses Sein ist es nicht gleichgültig, wenn es ins Bewusstsein tritt. Man kann sich ein solches Geschehen am Beispiel einer zwischenmenschlichen Beziehung verdeutlichen: es ist für meine Existenz nicht ohne Wirkung, wenn jemand etwas an mir bemerkt, was er oder ich selbst bislang nicht an mir erleben konnten.

Wie die ätherische Natur auf diese Weise um eine Stufe erhoben wird, so können Bewusstsein oder Begriff gleichsam in einen tieferen Bereich herabsteigen. Durch Wahrnehmung, Empfindung, Gefühl und Erleben des Ich erhält der Begriff jenseits der Schwelle der ätherischen Welt Zugang zu Gebieten, die ihm zuvor verschlossen waren. Damit kann das Ich im Begriff und im Denken allmählich die Kraftseite wieder entdecken, die dem Denken mit der Inkarnation des Ich verloren gegangen sind. Aus dieser Kraft heraus hat sich das Denken vorgeburtlich die leibliche Existenz und die irdisch-elementaren Daseinsbedingungen selbst aufgebaut – nur hat es diese Kraft „nachgeburtlich“ nicht mehr im Bewusstsein, weil es durch sie und in ihr existiert. Vorgeburtlich waren Bewusstsein und Kraft noch verbunden, „nachgeburtlich“ trennen sie sich in eine zunächst abbildhafte Bewusstseins- und eine unbewusste (Lebens-)Kraftseite. Nun kann das Bewusstsein allmählich wieder an seine eigene Kraftseite Anschluss finden, ohne dass es sich selbst verliert.

Aus einem solchen Blickwinkel zeigen sich bestimmte Aussagen Rudolf Steiners im Heilpädagogischen Kurs in einem neuen Licht. Dazu gehören seine Ausführungen zur Existenzweise des Ich direkt in den unteren Elementen Erde, Wasser, Luft und Wärme (dritter Vortrag vom 27. Juni 1924; GA 317) und grundlegende Bemerkungen aus dem ersten Vortrag (25. Juni 1924): dass die ins Denken umgesetzte Welt- und Naturerfahrung der vorangegangenen Inkarnation das Ich befähigt, im vorgeburtlichen Denken den neuen, der Ich-Entwicklung in der nächsten Inkarnation entsprechenden Leibaufbau zu vollziehen. Mit anderen Worten verbindet sich die individuelle Kraft des Denkens mit der ätherischen Kraft des Leibaufbaus, und diese wiederum rührt von der erlebenden Partizipation an ätherischer Wirklichkeit in der Umgebung der letzten Inkarnation her.

In ähnlicher Weise können so Ausführungen Rudolf Steiners aus seinem Kurs „Apokalypse und Priesterwirken“ vom September 1924 zugänglich werden. Dort heißt es im 15. Vortrag (19. September 1924): „Man schaut hinaus auf die Wiese in den Wald und bemerkt, wie anders diese Dinge doch sind, als sie waren, als man in der vorigen Inkarnation auf der Erde war. … Man empfindet das zunächst in dem Augenblick, wo man etwas von der vorigen Inkarnation gewahr wird und dann wieder freimütig in die Natur hinaussieht, man empfindet das als etwas außerordentlich Bestürzendes, Verblüffendes. Man bekommt etwas wie durch ein inneres Gefühl: Es hat sich dasjenige, was man da in der Umgebung sieht, gar nicht aus dem herausgehoben, was zur Zeit der früheren Inkarnation da war, sondern das Wesentliche ist woandersher gekommen.“ Und etwas später folgt dann: „An der Wiese hast du mitgebaut in der Zeit von deiner letzten Inkarnation bis heute. Das, was Du da selber in der jetzigen Inkarnation um dich hast, auch in der Natur, daran hast du mitgebaut.“

 

Eine neue Entwicklungsstufe

Die durch den Begriff gleichsam ausgerichtete Empfindung erschließt solche Wirklichkeitsbereiche. Indem zugleich der Begriff empfindungsfähig wird, kommen Bewusstsein und Sein, Denken und Kraft wieder zusammen. Johannes Scotus Eriugena hat im 9. Jahrhundert im letzten Buch seiner „Einteilung der Natur“ Entwicklungsstufen einer zukünftigen Welt beschrieben. Eine erste besteht in einer gewissen Kraftschlüssigkeit des menschlichen Bewusstseins: für die „guten“ Menschen werden ihre „guten“ Gedanken und Vorstellungen Wirklichkeit, sie leben in ihnen; für die „bösen“ Menschen die entsprechenden problematischen Gedanken und Vorstellungen, in denen und mit denen sie dann existieren müssen.

Und auch für die Natur, neben dem „Wort“ das zweite „Gewand“ Christi, vollzieht sich ein Übergang: was zuvor als Lebloses in der Natur existierte, wird zu Lebendigem; was Leben war, wird zu Erleben und damit bewusst. Gemeint ist wiederum nicht allein eine Art Abbildungsbewusstsein, sondern ein Erleben, das, im Menschen vollzogen, die erlebte Substanz der Natur selbst eine Stufe emporhebt. Die Erforschung des zweiten Gewandes Christi, der Natur, setzt ein Verständnis und Erleben dieser Verwandlungsstufen voraus; denn „die beiden Gewänder Christi, die Buchstaben der göttlichen Rede und die sinnenfällige Gestalt der sichtbaren Dinge, (sind) zur Zeit seiner Verklärung weiß wie Schnee.“[1] Indem Christus in dieser Weise erkannt wird, wird die Natur erkannt, und indem die Natur erlebend erkannt und damit verwandelt wird, wird Christus erkannt.

Eriugenas Ausblick besteht darin, dass Christus durch solche Entwicklungsstufen schließlich Alles in Allem werden wird; dadurch werden die sinnliche und die geistige Welt, jetzt noch Ruinen, restituiert „und zu unaussprechlicher Einheit berufen …, jetzt zwar noch in der Hoffnung, künftig aber in Wirklichkeit, jetzt noch im Glauben, künftig aber im Schauen, jetzt noch im Rätsel, künftig aber in der Erfahrung“.[2] Wie der Logos, der Sonnengeist, jetzt alles erhält, so wird er in Zukunft Alles in Allem werden. Dann ist keine Trennung von geistiger und naturhafter Welt mehr gegeben. Zu prüfen wäre, ob diese Zukunftswelt, auf die Johannes Scotus Eriugena vor etwa 1200 Jahren noch prophetisch hingeblickt hat, im neuen Verhältnis des Menschen zur ätherisch-elementaren Dimension des Seins nun Wirklichkeit zu werden beginnt.

[1] Vgl.: Wolf-Ulrich Klünker: Johannes Scotus Eriugena. Denken im Gespräch mit dem Engel. Stuttgart 1988, S. 287.

[2] A.a.O. S. 289.

Dieser Aufsatz ist im Juni 2009 in der Zeitschrift ‚die Drei‘ erschienen. Diese Ausgabe der ‚Drei‘ war dem Thema ‚Erfahrungen mit Lebensprozessen in Natur und Mensch‘ gewidmet, das im Juni 2009 auch auf der Tagung der Anthroposophischen Gesellschaft in München behandelt wurde. Rückblickend markiert diese Tagung eine Weggabelung. Es zeigten sich dort völlig unterschiedliche Herangehensweisen und Ansätze mit der Natur zu neuen  Ich-Erfahrungen zu kommen. Insofern ist der Aufsatz ‚Sonnenwirkung‘ über seinen spezifischen Beitrag hinaus auch paradigmatisch zu sehen,  nämlich wie ein Verhältnis von zentralem Ich und peripherem Ich differenziert erarbeitet werden kann. Interessanterweise hat die Redaktion der Zeitschrift damals dem Aufsatz zwei Seiten aus den Notizbüchern Rudolf Steiners vorangestellt (ohne jede Erläuterung). Diese stammen aus dem  Januar 1921, und stehen m.E. im Zusammenhang mit den Vorträgen aus dem Januar 1921 in Stuttgart, dem sogenannten dritten naturwissenschaftlichen Kurs. In diesen Vorträgen geht es um ‚Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie‘. In diesen Vorträgen hat Rudolf Steiner versucht  den Menschen wieder in ein wirkliches Verhältnis zu den kosmischen Entitäten zu bringen. „Nun auf diese Wahrnehmungen kommt man ja auch heute wieder, wenn man die Dinge im richtigen Licht betrachtet, wenn man sich zurückerobert die Möglichkeit, wiederum den ganzen Mond zu erleben. (…) Sobald aber wiederum die Vorstellung eine real entsprechende wird, dass wir ja im Mond drinnen leben, dass also das, was Mond genannt werden kann, ein Kraftzusammenhang ist, der uns ganz durchdringt, dann braucht nicht mehr Verwunderung darüber einzutreten, dass dieser Kraftzusammenhang auch gestaltend im Menschen auftritt und im Tier.“ (GA 323, S. 255). Der Aufsatz ‚Sonnenwirkung‘ greift diese Intention ganz frei und aktuell für das 21. Jahrhundert auf und entwickelt Zugangsmöglichkeiten in diese Wirklichkeit.  R.W.

Beitragsbild: Lochkamera-Bild Ramona Rehn, altus (hoch und tief)