29. April 2021

Nachruf auf Martin Basfeld


Martin Basfeld

geb. am 24. April 1956 in Sterkrade

verstorben am 12. Oktober 2020 in Eggenstein

Ein „Nachruf“ oder ein „Totengedenken“ beinhalten in jeder Form den Versuch, eine Schwellensituation zu erfassen. Das irdische Leben des Verstorbenen sollte „sub specie aeternitatis“, also angesichts der Ewigkeit und damit im Hinblick auf die folgende geistige Existenz betrachtet werden. Die biografische Betrachtung soll sich also öffnen für eine Weiterentwicklung dieses Menschen unter nichtirdischen Bedingungen. Letztlich wirft jeder „Nachruf“, auch wenn er eher als Lebensrückblick gehalten ist, zumindest implizit die Frage auf, wie eine solche Fortentwicklung möglich ist. Neben der Frage nach dem Woher stellt sich die nach dem Wozu und noch stärker die nach Wirkungen und Konsequenzen, also letztlich die Frage: Worauf läuft dieses Leben hinaus?

Dabei ist deutlich, dass sich die anschließende Entwicklung unter völlig anderen Bedingungen als diejenigen der irdischen Existenz vollzieht. Eine unmittelbare Kontinuität des Ich-Bewusstseins unter den dann gegeben geistigen Bedingungen ist nicht denkbar. Eine Hilfestellung für ein Verständnis des Todes als Lebenswandlung kann die Unterscheidung von zentralem und peripheren Ich sein, also der Unterschied von innerem Selbsterleben und äußerer Lebensumgebung. Auch in der irdischen Existenz gibt es Annäherungsmomente an eine Erfahrung, in der sich der Mensch wie von außen erleben kann und umgekehrt eine gewisse eigene Identität mit der Umgebung fühlt. Der rein geistigen Daseinsform entsprechend kann das „subjektive“ Eigenerleben zur Umgebung und die Lebensumgebung zu einer Art Selbstgefühl, einem Innensein werden: die erlebte Umgebung zeigt sich gleichsam als „subjektiv“, das Selbsterleben mit seinen moralischen und Empfindungsqualitäten als „objektiv“. Im Verhältnis zur elementaren irdischen Außenwelt (beispielsweise der Witterung) kann man sich verdeutlichen, dass das Erleben der äußeren Wärme nur aufgrund innerer Wärmeerfahrungen (bzw. Kälteerfahrungen) möglich ist, während umgekehrt der wohltuenden Erfahrung innerer Wärme eine ähnliche Außenerfahrung entspricht. Eine Vermittlung zwischen Innen- und Außenerleben besteht in der Empfindung von Wärme oder auch Kälte in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Das Leben von Martin Basfeld war von der Suche nach solchen Übergängen geprägt. Die Verbindungen und Metamorphosen von innen und außen, von irdischer und kosmischer, von seelisch-körperlicher und geistiger Existenz lassen sich in den Lebensorientierungen und biografischen Phasen von Martin Basfeld verfolgen. Seine Erkenntnishaltung und sein Empfinden waren geprägt von der Frage nach dem Verhältnis von Physik und Metaphysik, von Psychologie und Geisteswissenschaft, von Elementarwelt und geistiger Wirklichkeit. Die Verbindung von Seele und Leib, von Geist und Materie besteht in der Wärme, und Wärme entwickelt sich irdisch zunächst im Luftelement. Ein geistiger und wissenschaftlicher Ausgangspunkt lag für Martin Basfeld in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Max-Planck-Institut für Strömungsphysik in Göttingen, das damals im Institut von Ernst-August Müller vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten zukünftiger anthroposophischer Forschung bot.

Bezeichnend für das Leben und Arbeiten von Martin Basfeld an Übergängen ist, dass sich für über zehn Jahre eine Tätigkeit im Friedrich von Hardenberg Institut anschloss. Martin Basfeld kam also aus der physikalischen Naturwissenschaft und arbeitete nun an einer Forschungseinrichtung für Geisteswissenschaft und Geistesgeschichte. Hier wie auch in anschließenden Berufsetappen als Waldorflehrer für Mathematik und Physik in Karlsruhe und in der Lehrerbildung (Freie Hochschule in Mannheim) verfolgte Martin Basfeld die Wege der Wärme im Inneren und im Äußeren. Im Mittelpunkt stand neben der Wärme in ihrer elementaren Erscheinungsform vor allem die Wärme als Vermittler zwischen Seele und Körper und damit als Kraft der Ich-Entwicklung. In einer Art Folgerichtigkeit eröffnete sich aus der Frage nach den elementaren Kräften der Individualität und ihrer Entwicklung ein spezifisches Interesse für geistesgeschichtliche Zusammenhänge. Aber der geistesgeschichtliche Prozess wurde niemals allgemein und abstrakt, sondern immer konkret an und mit Persönlichkeiten verfolgt. Neben vielen anderen standen Thomas von Aquin (über den ich selbst häufig mit Martin gesprochen habe), Aristoteles und Franz Brentano im Mittelpunkt; am Ende seines Lebens wurde Elisabeth Vreede für Martin Basfeld wichtig. Dieser menschenzentrierte Bezug kam auch in Martins jahrzehntelangem Umgang mit der „Geheimwissenschaft“ Rudolf Steiners zum Ausdruck. Die einzelnen kosmischen Entwicklungsphasen konnte er in vielen Darstellungen als Erlebnisformen von Entwicklung im gegenwärtigen Augenblick verdeutlichen. Damit wurde in bester aristotelischer Weise deutlich, dass keine Wirklichkeit ohne den sie erlebenden Menschen möglich ist.

In der Heidelberger Phase, die wir kollegial und in Freundschaft verlebt haben, kam es wohl Anfang der neunziger Jahre zu einem zunächst unscheinbaren Erlebnis, das ich in den anschließenden etwa dreißig Jahren bis heute nicht vergessen habe. Mitarbeiter und Studierende des Hardenberg Instituts beschäftigten sich mit den „Mysteriendramen“ Rudolf Steiners, und es wurden auch ausgesuchte Passagen szenisch dargestellt. Dazu gehörte das sechste Bild des zweiten Dramas, eine mittelalterliche Situation, in der u.a. verschiedene Bauerngestalten auftreten. Martin sprach den Text der „Zweiten Bäuerin“:

Ich muss den Juden loben.
Er hat von meiner schweren Krankheit
Durch seine Mittel mich befreit
Und war so lieb und gut dabei.
Das gleiche hat er vielen schon getan.

Die Rede ist von dem „Juden“ Simon, einer früheren Verkörperung Straders, der in diesem Drama Ich-Entwicklung als Inkarnation durch verschiedene Erdenleben begreift. Simon wird in der Szene von einigen Passanten angegriffen und bedroht; die zitierte Bäuerin will ihn verteidigen. Es handelt sich um eine Nebengestalt in einer ebenfalls fast nebensächlichen, einleitenden Episode der Mittelalter-Bilder des Dramas. Es hat mich damals tief berührt, wie Martin die Zeile sprach „Und war so lieb und gut dabei“. Es gibt wenige unspektakuläre Situationen, die sich so auffällig für das momentane Erleben, aber auch für die Zukunft verstetigen. Ich musste immer wieder daran denken, wenn ich Martin sah, auch nach Jahren und Jahrzehnten. Heute, nach etwa dreißig Jahren, schließt sich für mich in gewisser Weise der Kreis, und der Erlebniszusammenhang wird mir deutlicher. In den beiden Worten „lieb“ und „gut“ vollzog sich durch Martins Empfindung, Sprache und Geste in einzigartig betonter Form die Verbindung von innerer und äußerer, von seelischer, elementarer und geistiger Wirklichkeit.

Das Wort „lieb“ steht zunächst für eine seelische Empfindung und Ausstrahlung im Übergang von innen und außen; das Wort „gut“ zielt auf eine moralische Gesinnung und Wirkung, aber auch auf eine sachlich richtige Wirkung – ebenfalls im Übergang von innen und aussen. Zudem spiegelt sich in den Worten an dieser Stelle eine moralische und eine Erkenntnishaltung. Die ernsthafte Zuwendung zu Menschen, Gegenständen oder Zusammenhängen kann auf eine solche Weise charakterisiert werden. In dieser Hinsicht verbindet sich mit den bereits genannten Übergängen auch ein gewisser Übergang von irdischer zu geistiger, von biografischer zu weiterführender Gesinnung. Empfindung, Intention, Erkenntnis und Wille kommen hier zusammen. In einer solchen Grundhaltung war und ist Martin anzutreffen; sie durchzieht sein Streben, Schaffen und Wünschen, das sich natürlich in vielem nicht realisieren ließ. Aber in den entsprechenden Bestrebungen und inhaltlichen Ergebnissen war und ist Martin selbst gegenwärtig, so wie er das geistig aktivierte Selbsterleben als Instrument zur Erkenntnis von Weltenentwicklung und auch von Naturzusammenhängen sah. Die Kraft seiner Erkenntnishaltung wirkte bis in den eigenverantwortlichen Umgang und die entsprechende Überwindung einer schweren Krankheitsphase.

Über viele Jahre war Rudolf Steiners Schrift „Von Seelenrätseln“ im Zentrum von Martins Forschungstätigkeit. Auch in zahlreichen mündlichen Darstellungen hat er die Gestalt und das Werk von Franz Brentano charakterisiert, dessen Erkenntnisansatz im Mittelpunkt der „Seelenrätsel“ steht. Thematisch damit verbunden ist die Frage nach einer anthroposophischen Psychologie und nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Rudolf Steiner spricht in der genannten Schrift von „Anthropologie“ und „Anthroposophie“, die sich an Erkenntnisgrenzen begegnen und ergänzen. Beide Themenrichtungen, die Grundlegung einer geisteswissenschaftlichen Psychologie und die Erforschung von Erkenntnisgrenzen, um zwischen Anthropologie und Anthroposophie zu vermitteln, bleiben für uns als Aufgabenstellung.

In der letzten Zeit seines Lebens hat Martin Basfeld die Gestalt von Elisabeth Vreede in seine geisteswissenschaftliche Zusammenhangsbildung aufgenommen und damit letztlich auch die Frage, die Rudolf Steiner mehrfach an Elisabeth Vreede gestellt hat: nach einem neuen, individualisierten Planetenverständnis. Martin Basfeld ist verstorben in einem Jahr, in dem Saturn und Jupiter, also Vergangenheit und Zukunft der menschlichen Entwicklung, durch die Konjunktion beider Planeten unendlich nah zusammengekommen sind. Saturn steht dabei für den Ausgangspunkt der Ich-Entwicklung (und auch des menschlichen Organismus) in der Wärme, Jupiter für die Zukunft, in der die innere Gesinnung Außenwelt und die erlebte Außenwelt inneres Selbsterleben werden. Ein ähnlicher Übergang vollzieht sich für das irdische Ich in der Schwellensituation des Todes und in dem, was sich aus dieser Lebenswandlung für die individuelle Zukunftsentwicklung ergibt.

Wolf-Ulrich Klünker

(veröffentlicht in ‚Anthroposophie‘ Vierteljahresschrift zur Anthroposophischen Arbeit in Deutschland, Ostern 2021)