30. Juni 2021

Lochkamera-Bilder von Ramona Rehn


In diesem Beitrag veröffentlichen wir einige Beispiele von Lochkamerabildern von Ramona Rehn. Sie stehen exemplarisch für verschiedene Bildprojekte, wie z.B. Bilder aus der Eurythmie, Bilder von Pflanzen etc.

Zur Ästhetik der Lochkamera-Bilder

(Auszug aus einem Beitrag in der Wochenschrift Das Goetheanum 20/2021 zu der Ästhetik der Lochkamera-Bilder)

Im Beitrag von Wolf-Ulrich Klünker wird am Ende das Verhältnis von objektiver Wirklichkeit und subjektivem Erleben angesprochen. Dabei deutet sich an, dass in der gegenwärtigen Entwicklungssituation eine gegenseitige Sensibilisierung von empfindendem Menschen und beispielsweise der so erlebten Natur stattfinden kann. So zeichnet sich eine neue Nähe von lebendigen Naturprozessen (ätherisch) und wahrnehmend-empfindenden Seelenerlebnissen (astral) ab. Gemeint ist damit eine zukunftsoffene Entwicklungsverbindung zwischen der natürlichen Lebensebene und der Bewusstseinsebene, die empfindet. Wenn es mir gelingt, mein Erleben und Empfinden für Lebensvorgänge zu sensibilisieren, dann können die Lebensvorgänge allmählich auch sensibel für mich als erlebenden Menschen werden. Empfindung und Leben, Bewusstsein und Sein kommen also näher zusammen – vielleicht kann man in diesem Prozess eine Ätherisierung der Wirklichkeit sehen.

Diese Wirklichkeitsschicht kann sich auch in einer neuen Ästhetik spiegeln. Diese ist dann nicht Abbild von Wirklichkeit, von Entwicklung oder von Kraft, sondern selbst kraftschlüssig. Das entsprechende Erleben bildet so gleichsam eine neue dritte Dimension; es entsteht eine freie Realitätsschicht im Erleben. In einem ausführlicheren Beitrag könnte dargestellt werden, wie hier aus der vierten Dimension des Denkens eine neue dritte Dimension des Erlebens nach und nach als Wirklichkeit konfiguriert – eine ästhetische Realität, die beispielsweise Joseph Beuys unter den kunstgeschichtlichen Vorraussetzungen seiner Zeit gesucht hat.

Lochkamera-Bilder führen das ästhetische Empfinden in eine ganz leichte dritte Dimension; diese hängt mit der Luftcharakteristik solcher Fotografien zusammen. Die Luft stellt, ähnlich wie in der Atmung, ein Innen-Außen-Verhältnis her, zumal wenn das Bild analog in entsprechendem Filmmaterial (nicht digital) entsteht. Der optische Prozess vollzieht sich nicht durch die ‹Wand› des Objektivs oder der Linse. Man fühlt sich an die weitreichende Aussage Rudolf Steiners erinnert, im Nerven des Menschen sei die Außenwelt unmittelbar anwesend (Vortrag vom 28.8.1919, GA 293). Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

Ramona Rehn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der DELOS-Forschungsstelle und der Alanus-Hochschule. Sie versteht ihre künstlerischen Arbeiten (Malerei, Lochkamerafotos, Wachsreliefs) als Beitrag zu einer ästhetischen Menschenkunde.

Was sind Lochkamera-Bilder?

Oben im Beitrag von Wolf-Ulrich Klünker wird die ästhetische Wirklichkeit der Bilder umrissen. Aber nicht jeder kennt den Unterschied zwischen Lochkamera-Bildern und normalen Fotos. Deshalb soll hier einmal die praktische Seite dieser Bilder erläutert werden.

Eine normale Fotokamera hat eine empfindliche Projektionsfläche, auf die das Bild durch das Objektiv projiziert wird. Die Empfindlichkeit wird durch das lichtempfindliche Filmmaterial oder den elektronischen optischen Sensor realisiert. Beide, analoge und auch digitale Kameras, lassen das Bild durch eine Glaslinse auf das Material projizieren. Die Glaslinse (oder bei Handykameras auch Kunststofflinse) verändert das Bild im Durchgang durch das verdichtete und geschliffene Glas. Im Objektiv gibt es die Möglichkeit, die Lichtöffnung zu vergrößern oder zu verkleinern, also die Blende anzupassen. Und es gibt die Möglichkeit, das Motiv scharf zu stellen, also einen Ausschnitt zu wählen, der besonders scharf ist.

All das gibt es bei der Lochkamera nicht. Die Lochkamera hat ein winziges Loch, und durch dieses Loch projiziert sich das Bild auf die empfindliche Fläche. Bei Ramona Rehns Bildern handelt es sich um analoges Filmmaterial, den sog. Rollfilm im Mittelformat (120er). Man kann  weder die Belichtung steuern, noch die Schärfe verändern. Da das Loch sehr klein ist (Bruchteile eines Millimeters), fällt nur wenig Licht hinein – man kann das Bild also leicht unterbelichten, aber kaum überbelichten. Man muss deshalb in der Regel ein solches Bild länger belichten als bei normalen Kameras, die ja oft mit 1/60 Sekunde oder noch kürzer belichten. Durch diese Tatsache alleine kommt schon eine längere Zeit zustande, oder genauer ein länger dauerndes Geschehen, das sich in den Film einprägt. Wir sehen bei den Lochkamera-Bildern also mehr einen Lebensvorgang als einen winzigen Zeitausriß. Ein zweites praktisches Element ist die Möglichkeit der Mehrfachbelichtung. Diese Möglichkeit gibt es auch bei normalen Kameras, aber durch das eben Beschriebene wird der Zeit und damit der Lebensanteil, der sich im Bild einprägt, größer als bei normalen Kameras.

Eine weiterer Unterschied ist, dass durch die fehlende Glaslinse das empfindliche Material und das lebendige Geschehen nicht voneinander getrennt sind. Das Bild muss kurzgesagt nicht durch das Glas hindurch und wird dadurch nicht von seinem Bildegeschehen getrennt. Es kann direkt mit der Luft, in der es sich ja zur Sichtbarkeit färbt, auf das empfindliche Material treffen. Die normale Linsenkamera unterscheidet den Raum im Bild durch Schärfenunterschiede und simuliert damit unser Auge, das ein Objekt fokussiert. Das Camera Obscura-Bild tut dies nicht; es ist überall gleich. Hier sind die Schärfe oder Unschärfe kein Kriterium. In einer gewissen Unschärfe, die natürlich auch durch den Rand des kleines Loches bedingt ist, zeigt sich eine Verlaufs- und Substanzwirklichkeit.

Das Entscheidende ist aber bei den Lochkamera-Bildern von Ramona Rehn die Präsenz der ‚Malerin‘ in der Bildentstehung und die dadurch mögliche Vertiefung des Bildprozesses. Bei Fotos spricht man dem Fotografen den Sinn für den Augenblick zu, hier braucht es das Sinnen für das Lebendig-Seelische, das sich in der Situation vollzieht. Die Lochkamera-Bilder von Ramona Rehn bilden einen ästhetischen Forschungsansatz, um das Sehen weiterzuentwickeln für das Lebendige und Seelische in der Welt. Sie sind deshalb auch keine Lichtschrift („Fotografie“), sondern eher ein Licht-Luft-Malen mit Hilfe eines (Dunkel-)Raumes der Kamera, der dem Erlebnisraum des Menschen entspricht.

Roland Wiese 27.7.2021