17. September 1988

Menschliche Seele und kosmischer Geist. Siger von Brabant in der Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin


Menschliche Seele und kosmischer Geist. Siger von Brabant in der Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin

Klünker, Wolf-Ulrich

Sandkühler, Bruno

Siger von Brabant wurde vermutlich um 1240 geboren; er war etwa fünfzehn Jahre jünger als Thomas von Aquin. Siger unterrichtete nicht wie Thomas an der theologischen, sondern an der philosophischen Fakultät der Universität zu Paris. Am 23. November 1276 wurde Siger vor das Inquisitionsgericht geladen, jedoch war er zu diesem Zeitpunkt bereits aus Frankreich geflohen. 1284 wurde er ermordet – angeblich von seinem in geistiger Verwirrung handelnden Sekretär; in Wahrheit wurden jedoch die Umstände seines Todes nie geklärt.
Vielleicht wäre Siger heute vergessen, hätte ihn nicht Dante in seiner „Göttlichen Komödie“ in einer Weise verewigt, die ihn erst recht rätselhaft erscheinen ließ und die Forschung anregte. Offenbar galt Siger als der entscheidende Repräsentant der Philosophie schlechthin, an Dignität Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Dionysius Areopagita und anderen bedeutenden Männern gleichgestellt.
Vor allem Sigers Schrift „Über die Geistseele“ (De anima intellectiva), die hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung erscheint, muss mit einem besonderen methodischen Sensorium betrachtet werden. Siger setzt mit der „Selbsterkenntnis“ ein, um das Wesen des menschlichen Geistes zu beschreiben: „Die Geistseele wird nicht anders erkannt als aus ihrer Tätigkeit, dem Denken.“ Von hier aus wird Siger mit gedanklicher Notwendigkeit auf entscheidende Implikationen des Geistbegriffs geführt:Er stellt erstens fest, dass der Geist eine bestimmte Beziehung zur Materie bzw. zum Körper eingehen muss, um Erkenntnisse gewinnen zu können.
Zweitens gelangt Siger zur Einsicht, dass man den Begriff geistiger Entwicklung erfassen muss, um den Menschengeist zu verstehen.
Drittens ergibt sich ihm aus dieser Betrachtung mit Notwendigkeit eine bestimmte Anschauung der Reinkarnation.
Die beiden großen philosophischen Kontrahenten des 13. Jahrhunderts, Thomas und Siger, teilen in dem geistesgeschichtlichen Moment, in dem sie gemeinsam stehen, zwei entscheidende Aspekte der Lehre vom Geist gewissermaßen unter sich auf: Thomas gelangt zu dem Begriff geistiger Individualität, Siger zum Gedanken der Reinkarnation.

Informationen

Seiten:  146

Sprache:  Deutsch

Erschienen:   1988

Verlag: Edition Hardenberg (Freies Geistesleben)

ISBN:   978-3-7725-0894-3